Heilsamer Humor.

Von Michael Titze


Die wachsende Akzeptanz des Therapeutischen Humors könnte als der Wunsch interpretiert werden, sich in einer Welt (wieder) heimisch zu fühlen, in der sich althergebrachte Strukturen radikal auflösen. Dies kann zu tiefgehenden existentiellen Erschütterungen und Sinnkrisen führen. Viktor Frankl hatte dies als erster erkannt, und er war es auch, der in diesem Zusammenhang die heilsame Bedeutung des Humors (als «Existential») vermerkte. Wer, wie es Hermann Hesse in seinem Buch Siddharta formulierte, über «diese seltsame, törichte Welt» lachen kann, der kann sich auch auf die verwirrenden Umbrüche unseres postmodernen Zeitalters «bedenkenlos» einlassen! Vielleicht erklärt dies das wachsende Interesse am «heilsamen Lachen».
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Ein Pionier des therapeutischen Humors ist Albert Ellis, der Begründer der rational-emotiven Therapie. Ellis hatte seine psychoanalytische Lehranalyse einstmals bei Richard Hülsenbeck absolviert, einem der Mitbegründer der Dada-Bewegung. Die von Ellis verwendeten «Schamüberwindungsübungen» sind ebenso effizient wie humorvoll. So schlägt er seinen Patienten zum Beispiel vor: «Geben Sie eine Schwäche zu, die die meisten Menschen normalerweise verachten, zum Beispiel 'Ich kann nicht buchstabieren'.» - «Verhalten Sie sich komisch, indem Sie auf der Strasse singen oder an einem sonnigen Tag einen schwarzen Regenschirm aufspannen.» - «Versuchen Sie, eine Uhr bei einem Schuster reparieren zu lassen.» - Fragen Sie in einem Geschäft nach einem Schraubenzieher für Linkshänder».

Ein weiterer Protagonist therapeutischen Humors ist Frank Farrelly, dessen Provokative Therapie mit den absurdesten Übertreibungen arbeitet, um dadurch starre Überzeugungen und Perfektionsansprüche aus den Angeln zu heben. Farrelly sieht seinen Ansatz unlösbar mit einem Humor verbunden, wie dieser seit jeher vom Schalksnarren bzw. Clowns vorgelebt wurde. In dieser Rolle soll der Therapeut ein Identifikationsobjekt für Menschen sein, die sich vor ihrer eigenen Unvollkommenheit fürchten. So eröffnete Farrelly einmal ein wissenschaftliches Symposium mit den folgenden Worten:

«Ich bin ganz fest auf der Seite der Engel. Und ich dachte, ich könnte sagen, ich wüsste im allgemeinen, was provokative Therapie sei. Und ich denke, in gewisser Weise weiss ich immer weniger und weniger, was das ist. Nun, das liegt wohl weniger daran, dass sie so kompliziert ist, sondern vielleicht daran, dass ich immer mehr und mehr zu einem Dummkopf werde.»

Weltweit hat sich inzwischen eine Bewegung etabliert, deren einziges Anliegen darin besteht, die Erkenntnisse der «Gelotologie» (Lachforschung) zu verbreiten. Eine Keimzelle dieser Bewegung war das gelotologische Institut, das der Stanford-Professor William F. Fry 1964 gegründet hatte. Der Gedanke, sich systematisch mit Lachforschung zu befassen, schien damals freilich so abwegig, dass Fry keinerlei Förderung durch offizielle Kostenträger erhielt. So betrieb er seine Forschungen, wie er später erklärte, in seiner Freizeit und aus «reinem Spass an der Freude». Die banale Erkenntnis, dass Lachen tatsächlich die «beste Medizin» ist, wurde dabei nicht nur von Fry, sondern allmählich einer wachsenden Zahl von Forschern wissenschaftlich belegt. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Organisationen, die sich, wie etwa die «Arise»-Gesellschaft, der «Science of Pleasure» verschrieben haben.

Der indische Arzt Madan Kataria setzte die Befunde der Gelotologie unmittelbar in die Praxis um, indem er althergebrachte yogische Techniken (Hasya Yoga) in eine von ihm entwickelte «Lachtherapie» integrierte. Er begann diese in einem Park seiner Heimatstadt Bombay öffentlich zu praktizieren. Passanten wurden aufgefordert, sich jeweils am etwa zwanzigminütigen Lachritual zu beteiligen. Dies war die Geburtsstunde der «Lachklubs», die sich zunächst über ganz Indien, dann über Australien, die USA und jetzt auch über Europa ausgebreitet haben. Man schätzt, dass zur Zeit mindestens 300 000 Menschen in einem Lachklub mitlachen!

 Amerikanische Klinikangehörige, vor allem aus dem pflegerischen Bereich, nahmen die gelotologischen Befunde bald zum Anlass, das Lachen gezielt als eine therapeutische Methode einzusetzen. Hilfestellung bekamen sie dabei von professionellen Clowns, deren Arbeit sich seit jeher im Grenzbereich von Vernunft und Unvernunft abspielt. Der kürzlich erschiene Hollywood-Film über den Clown-Arzt Patch Adams eröffnete einem grösseren Publikum Einblick in diese neuartige medizinische Praxis!

Nachdem in den USA spezielle Ausbildungsstätten für therapeutische Clowns (z.B. die «Clown Care Unit» des New Yorker Big Apple Circus) gegründet wurden, hat sich der institutionalisierte therapeutische Humor auf vielen Gebieten gesellschaftlichen Lebens etabliert. Eigene Fachgesellschaften, wie die mitgliederstarke American Association of Therapeutic Humor veranstalten Kongresse, betreiben Fortbildungskurse für «Humorberater» und geben spezielle Fachzeitschriften heraus. Auch profitorientierte Humororganisationen finden zunehmend Zulauf. So wurde 1977 das Humor Project mit der Absicht ins Leben gerufen, humorbezogene «Dienste, Programme und Ressourcen» weltweit anzubieten. Nach eigenen Angaben haben seither weit über 600 000 Teilnehmer aus dem Gesundheitswesen, der Industrie und dem schulischen Bereich an den Veranstaltungen dieses Unternehmens teilgenommen.

Professionelle Humorberater, wie der Bestsellerautor Charles W. Metcalf oder der Psychologieprofessor Paul McGhee, bieten erlebnisintensive Lachtrainings für «Geschäftsleute unter Druck» an. Beide sind Initiatoren einer Unternehmensphilosophie, die kompromisslos auf die Stärkung des «Amuse System» setzt. McGhee gehört zu jenen Coaching-Experten, die auch in Europa hyperaktiv sind und eine Entwicklung mit angeregt haben, die vor fünf Jahren zu einer «gelotologischen Initialzündung» geführt hat! Damals hatten vor allem Psychotherapeuten, die mit paradoxen bzw. «provokativen» Methoden arbeiten, in Basel erstmals den Kongress Humor in der Therapie organisiert. Aus bescheidenen Anfängen hat sich inzwischen eine jährliche Grossveranstaltung entwickelt, die im Rahmen von Vorträgen, Workshops und Clownsdarbietungen über die Entwicklung auf dem Gebiet der Gelotologie und des therapeutischen Humors informiert.

Vor zwei Jahren wurde durch den Salettiner-Pater Ludwig Zink im Fürstentum Liechtenstein eine Humor-Akademie ins Leben gerufen, die in Europa bislang einzigartig ist. In einjährigen Kursen werden Angehörige psychosozialer Berufe von Psychotherapeuten, Managementberatern und therapeutischen Clowns in therapeutischem Humor fortgebildet. In ihrer Abschlussarbeit dokumentierte eine Teilnehmerin, die sich zunächst eindeutige «Schlüsselerlebnis» erhofft hatte, dass Humor tatsächlich ein «anderer Weg des Denkens» ist: «Ich habe mich auf die Suche gemacht, ohne zu wissen, ob ich überhaupt einen Schlüssel finden werde. Ich habe in verschiedenen Schlüssel-Ablage-Möglichkeiten gestöbert, andere Dinge gefunden und Dinge weggeworfen, die ich nicht mehr brauche. So bin ich meiner inneren Clownin immer näher gekommen.»