René Schweizer.

Die Predigt.

Predigt vom 8. November 1998 in der Elisabethenkirche Basel:

Das Spiel der Wirklichkeit

Liebe Kirchenbesucherinnen und Kirchenbesucher, liebe Alt- und Neugierige.

Es ist zwar nicht üblich, dass ein Prediger von sich redet, aber hier geht es nicht anders, weil das Thema sehr eng mit meinem Lebenslauf zusammenhängt. Ich bitte Sie, mir diesen Stilbruch nachzusehen.

Wie sich wohl einige von Ihnen erinnern mögen, habe ich am 5. Januar 1977 meinen Verstand verloren und diesen Umstand ordnungsgemäss dem Fundbüro des Polizeidepartementes gemeldet. Da der Gegenstand bis heute nicht wieder aufgetaucht ist, wird es Sie vielleicht interessieren, wie das Innenleben eines Menschen funktioniert, dem die entscheidende Komponente für ein Leben unter den sogenannt Zivilisierten fehlt.

Ich baue diese Predigt auf vier Zitaten auf: 1.: "Im Anfang war das Wort." Johannes-Evangeliums, Vers 1. Und etwas weiter vorne, im Matthäus Evangelium, steht 2.: "Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen." Matthaeus 18, Vers 3. Diese Zahlen sind natürlich wie immer ohne Gewehr. Und da aller guten Dinge drei sind, hole ich noch ein Zitat aus dem Ärmel, von dem ich nicht mehr weiss, woher ich es habe, vielleicht ist es sogar von mir. Es lautet: "Wer nicht an Wunder glaubt, ist nicht ganz bei Trost." Und zum Schluss noch eines, das aus den guten drei Dingen noch bessere vier Dinge macht. Es stammt von C. G. Jung und lautet: "Der Intellekt hat, in luziferischer Überhebung, sich des Sitzes, auf dem der Geist einst thronte, bemächtigt."

Jetzt haben wir vier gute und starke Beine für die folgende Behauptung: "Wunder ereignen sich dann, wenn der Mensch mit kindlicher Unbefangenheit einen Wunschtraum in Worte fasst und unbeirrt an dessen Verwirklichung zu arbeiten beginnt." Traum und Wirklichkeit sind unterschiedliche Aggregatszustände desselben Stoffes. So wie H2O einmal Wasser, einmal Eis und einmal Gas sein kann, so kann eine Vision einmal Traum, einmal Projekt und einmal Realität sein. Was es braucht, um vom einen Zustand in den anderen zu gelangen, ist Energie. Um zu zeigen, was ich damit meine, schildere ich Ihnen kurz, wie die Glühbirne entstanden ist: Thomas Alva Edison hatte einen Traum. Er wollte eine elektrische Lampe konstruieren. Als der erste Versuch fehlgeschlagen war, versuchte er es ein zweitesmal. Auch dieser zweite Versuch schlug fehl. Aber Edison gab nicht auf und versuchte es ein drittesmal. Dann ein viertesmal, ein fünftesmal, ein sechstesmal. Nach hundert Versuchen hatte er noch keinen Erfolg, nach zweihundert auch nicht, und auch der dreihundertste Versuch war ein Fehlschlag. Desgleichen der fünfhundertste, der tausendste, der fünftausendste und der zehntausendste. Erst nach über zehntausend Versuchen erfüllte sich sein Traum. Die elektrische Glühlampe war zur Realität geworden.

Man muss sich das einmal aus der Sicht derer vorstellen, die dabei waren und Edison vielleicht bei der Arbeit beobachtet haben. Da steht ein Mann in seiner Werkstatt, der sich nach zehntausend Versuchen - das sind hundert mal hundert Neuanfänge und unterschiedliche Ansätze - noch immer nicht von seiner fixen Idee abbringen lässt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten Kenntnis von einem solchen Menschen in Ihrem unmittelbaren Lebensbereich. Wie würden Sie ihn einstufen? Würden Sie ihn einen komischen Kauz nennen? Oder einen schrulligen Kerl, einen sturen Bock? Oder würden Sie ihn vielleicht ganz einfach in die Kategorie der Verrückten einordnen?

Liebe Kirchenbesucherinnen und Kirchenbesucher, liebe Alt- und Neugierige, es sind fast immer die "Verrückten" (in Anführungs- und Schlussstrichen), welche die Welt weitergebracht haben. Denken Sie bloss an Kolumbus, der es nur dank seiner unermüdlichen Sturheit und Besessenheit schaffte, Isabella von Kastilien von seiner fixen Idee zu überzeugen, den Osten im Westen zu suchen. Oder Galileo Galilei, dessen Werke erst anno 1835, also ganze einhundertdreiundneunzig Jahre nach seinem Tod, vom vatikanischen Index der verbotenen Bücher gestrichen wurden. Goethe hatte keine Gelegenheit mehr, sie zu lesen; er starb drei Jahre früher. Oder Guglielmo Marconi, der Erfinder der drahtlosen Telegraphie. Seine Freunde liessen ihn in Schutzhaft nehmen und von einem Irrenarzt untersuchen. 1909 erhielt er den Nobelpreis für Physik. Auch Martin Luther gehört in diese Kategorie. Und er war es, der die Vernunft eine Hure nannte, was ja nicht unbedingt etwas Negatives sein muss.

Bei mir lief das ganz anders als bei Edison. Ich hatte eine völlig andere Herkunft und wurde ganz anders für das Leben konditioniert. Mein Vater hiess nicht Edi, sondern Emil, und so war ich nie ein Edison, sondern bin seit jeher ein Emilsohn. Was das bedeutet, soll Ihnen die folgende kleine Geschichte aus meiner Kindheit klar machen. Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt. Meine Mutter, eine gutaussehende Frau, hatte einen stillen Verehrer, ein an sich lieber, aber etwas aufdringlicher Kerl, der sich in sie vergafft hatte und immer wieder anrief, um unter irgendwelchen Vorwänden vorbeizukommen und meine Mutter zu bewundern. Als es wieder einmal soweit war und mein exzentrischer Vater ihn am Telefon ermuntert hatte, uns zu besuchen, wurden die Vorbereitungen für einen würdigen Empfang getroffen. Im Wohnzimmer stand eine Couch. Meine Mutter breitete zwei grosse Badetücher darauf aus, und mein Vater ging sich im Bad gründlich die Füsse waschen. Dann legte er sich auf die Couch und begann mit einem Messer die äusserste Schicht eines Limburgerkäses abzuschaben. Damit rieb er sich seine fast klinisch sauberen Füsse und die Hände ein. Dann brach er kleine Stückchen vom Käse ab und drückte sie in die Lücken zwischen den Zehen. Mich wies er an, unter keinen Umständen in Gegenwart des Besuchers zu lachen. Als es klingelte, ging meine Mutter zur Tür und begrüsste den eintretenden Gast herzlich. Mein Vater rief von der Couch aus: "Armand, komm her. Entschuldige, ich muss leider liegen, habe irgend eine verfluchte Krankheit. Es freut mich riesig, dass Du uns besuchst." Der Angesprochene ging zu meinem Vater und streckte ihm die Hand zum Grusse hin. Mein Vater grinste ihn fröhlich an, packte die Hand und rieb mit beiden Händen kraftvoll und genüsslich den Limburger in sie ein. Dann setzte er sich auf, klaubte zwischen den Zehen den Käse hervor und schob ihn sich in den Mund. "Die moderne Wissenschaft", sagte er schulterzuckend, "der Arzt sagt, das sei gut. Wie beim Impfen - Gleiches mit Gleichem bekämpfen." Armand lächelte säuerlich, und plötzlich fiel ihm ein, dass er noch etwas zu erledigen hatte, und er verabschiedete sich. Dies war das erste und letzte Mal, dass ich diesem Mann begegnet bin.

Ehe ich zum Kern meiner Predigt komme, will ich Sie noch auf etwas hinweisen, das ich auch für sehr wichtig halte. Es geht um das Phänomen des Urknalls und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis darüber. Professor Gerhard Börner vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München sagt Folgendes:

"10-34 Sekunden nach dem Urknall war unser Universum 100 Milliarden mal kleiner als der Kern eines Wasserstoffatoms." Es hat keinen Sinn, sich dies vorstellen zu wollen. 10-34 heisst null Komma...und dann 34 Nullen und eine Eins. Das sind 10 Quintilliardstel-Sekunden. Sie wissen aus dem Sport was eine Tausendstelsekunde ist. Und eine Quintilliardstel-Sekunde ist der quintillionste Teil einer Tausendstelsekunde. Das ist so wenig, dass es für unsere Sinne nicht wahrnehmbar zu machen ist. Könnten wir eine Lichtquelle für 10-34 Sekunden lang aufblitzen lassen, würde unser Auge das nicht wahrnehmen, weil es das schlicht nicht kann; es ist für sowas nicht eingerichtet. Und so wenig Zeit nach dem Urknall - unendlich viele Male weniger lang als die Dauer eines Augenzwinkerns - war das Universum 100 Milliarden mal kleiner als der Kern eines Wasserstoffatoms. Was heisst das? Wie klein ist ein Wasserstoffatom? Und wieviel kleiner der Kern eines Wasserstoffatoms? Ein Stecknadelkopf ist vermutlich millionen- oder gar milliardenmal grösser als ein Wasserstoffatom. Und das Universum war damals 100 Milliarden mal kleiner als der Kern eines Wasserstoffatoms, also Milliarden mal Milliarden mal kleiner als ein Stecknadelkopf. Das ist für ein normales Hirn - und zu diesen zähle ich mich, wenn es um solche Dinge geht - nicht nachvollziehbar. Wenn wir ein zwanzigbändiges Lexikon nähmen und jedes Wort darin durch das Adjektiv "sehr" ersetzten und das letzte durch das Wörtchen "klein", dann könnten wir wohl tage- oder wochenlang ununterbrochen "sehr" und ganz am Schluss "klein" sagen. Damit hätten wir aber noch nicht den Hauch einer Aussage darüber gemacht, wie klein 100 Milliarden mal kleiner als der Kern eines Wasserstoffatoms ist. Und aus dieser unvorstellbaren Kleinheit, aus diesem Nichts soll alles entstanden sein, was wir kennen: das ganze Universum, die Milchstrasse, das Sonnensystem mit der Erde und ihren Restaurants, Fahrrädern, Universitäten, Hallenbädern, Nachbarn, Gummibäumen und Gummibärchen, Zebras und Salzgurken - alles, vom Papst über die Tour de France bis zum Sankt Galler Schüblig, latent im Urknall vorkonzipiert. Und heute, zehn bis zwanzig Milliarden Jahre nach dem Urknall, ist das Universum Milliarden Lichtjahre gross.

Ein Lichtjahr ist die Distanz, welche das Licht innerhalb eines Jahres zurücklegt. Die Geschwindigkeit des Lichts beträgt 299 790 Kilometer in der Sekunde. Die Erde hat einen Umfang von 40'000 Kilometern. Das Licht kann in einer Sekunde 7,5 mal um die Erde flitzen. Das ist über 900'000 mal schneller als der Schall und über drei Millionen mal schneller als ein Ferrari. Im Jahr macht das 9 Billionen 461 Milliarden Kilometer. Ein Ferrari würde für diese Strecke mehrere Milliarden mal drei Millionen Jahre benötigen. Wo würde Michael Schumacher seinen Proviant verstauen? Und das Universum dehnt sich kontinuierlich und mit einer unvorstellbar grossen Geschwindigkeit sekündlich weiter aus.

Vor fast zweieinhalbtausend Jahren soll Sokrates gesagt haben: "Alles, was ich weiss, ist, dass ich nichts weiss." Rund zweitausend Jahre später äusserte sich der heilige Johannes vom Kreuz zum selben Urproblem mit den Worten: "Dieses Wissen, nichts zu wissen, ist von so grosser Kraft, dass die Weisen mit ihren Schlüssen es niemals zu Fall bringen können, weil ihr Wissen nie zu der Erkenntnis gelangt, dass das Nichtbegreifen dessen, was man begreift, alle Wissenschaft übersteigt." Goethe's Faust jammert in seinem Einstiegsmonolog: "Und sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen." In seinem Buch Knoten fomuliert der amerikanische Psychiater Ronald D. Laing seine Aussage zu diesem Phänomen wie folgt: "Wenn ich nicht weiss, dass ich nicht weiss, glaube ich zu wissen. Wenn ich nicht weiss, dass ich weiss, glaube ich nicht zu wissen."

Als ich vor ungefähr zehn Jahren in Hawaii lebte, stolperte ich eines Tages über ein Buch. Darin stand, dass vor der Schöpfung nur das Denken gewesen sei. Die Schöpfung sei durch die Idee des Denkens entstanden, sich selbst in viele kleine Ichs aufzuspalten und

unendlich viele Theaterstücke mit unendlich vielen Darstellern zu beginnen. Mit Hilfe dieses Kunstgriffs wollte es herausfinden, was es alles zu denken gab. Heute spielen laut diesem Buch die Ichs als Schauspieler überall auf den vielen Schöpfungsbühnen ihre Rollen; und da sie auf der Bühne nicht daran denken können, wer sie wirklich sind, wenn sie nicht aus der Rolle fallen wollen, schieben sie das Wissen um ihre wahre Identität während der Dauer ihres Auftritts beiseite. Um die Gefahr jedoch möglichst klein zu halten, dass sie vergessen, wer sie in Wirklichkeit sind, hat das Grosse Ich das Lachen erfunden. Im kollektiven Lachen erwachen die Schauspieler für Augenblicke aus ihren Rollen, erkennen ihr Einssein und erinnern sich an ihre gemeinsame Quelle und ihren gemeinsamen Ursprung.

Wir haben jetzt ein paar Grundelemente, aus denen wir eine taktische Mixtur zusammenbrauen können. Wir haben den Traum, den Edison, den Emilsohn und den Limburger, den Urknall, das Nichts-Wissen, das Erwachen und das Lachen - die ideale Mischung für einen ungewöhnlichen Teig, vergleichbar mit den Zutaten für einen ungewöhnlichen Kuchen nach echter Hausfrauenart. Dort sind es die Eier, das Mehl, die Milch, die Butter, der Zucker, die Rosinen etc. Wenn wir alles zusammenbringen, sieht das für den Uneingeweihten so aus, als fabrizierten wir mit Absicht ein Chaos.

Wir zertrümmern alles. Wir zerschlagen die Eier, zerquetschen die Butter, kneten das Mehl, schütten die Milch rein, schmeissen die Rosinen in das Durcheinander, lassen den Zucker darin verschwinden und zerdrücken, manschen, stossen, quetschen und schlagen das Gemenge wie besessen. Und das Ergebnis unserer blindwütigen Aktivität stecken wir dann noch in den heissen Ofen und überlassen es seinem Schicksal. Aber dann, oh Wunder, wenn wir es rechtzeitig wieder herausnehmen, auskühlen lassen und die Form entfernt haben, stellen wir es auf den Tisch und empfangen huldvoll die Komplimente unserer Gäste.

Ich will auch einen Kuchen backen und lade jene unter Ihnen, die sich durch die erwähnten Ingredienzien inspiriert fühlen, dazu ein, den Teig mitzukreieren. Mit dem Jahr 2001 beginnt das dritte Jahrtausend. Gleichzeitig feiert Basel das halbe Jahrtausend seiner Zugehörigkeit zum Bund der Eidgenossen. Diese beiden Umstände sind der Anlass für das Spiel des Happy End Express'. Jetzt muss ich kurz einen Sprung machen und Ihnen zwei Phänomene erklären, die Sie zwar alle kennen, von denen Sie aber vielleicht nicht wissen, dass sie seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich gezogen haben. Das eine ist die Heilkraft des Lachens und das andere die Heilkraft der Gedanken und Bilder. Seit mittlerweile etwa 30 Jahren beschäftigt sich die Gelotologie, das ist die Wissenschaft vom Lachen, mit der Untersuchung der Auswirkungen, welche das Lachen auf die Körperchemie hat. Dabei ist nachgewiesen worden, dass durch das Lachen das Immunsystem aktiviert und die verschiedenartigsten Hormone ausgeschüttet werden. Zum Beispiel Katecholamine. Das sind entzündungshemmende Substanzen. Oder Endorphin, ein sogenannt inneres Morphium. Neben der Gelotologie hat sich der therapeutische Humor entwickelt. Dieser wendet das Lachen in der psychotherapeutischen Praxis an. Es gibt mittlerweile etwa ein Dutzend unterschiedliche Techniken in diesem Bereich. Auf der anderen Seite beschäftigt sich seit ähnlich langer Zeit die Imaginationsforschung mit der heilenden Kraft des Vorstellungsvermögens. Dabei sind Techniken entwickelt worden, welche in Form von Visualisierungsanweisungen an Patienten den Heilungsprozess ankurbeln, unterstützen und beschleunigen.

Was mich daran interessiert, ist die Anwendung im gesamtgesellschaftlichen Bereich. Was lässt sich erreichen, wenn man versucht, mit selbstentworfenen Bildern und einer heiter-verspielten Grundhaltung die Weltgeschichte mitzugestalten? Zu diesem Zweck habe ich mir für den Happy End Express den Anfang einer Geschichte ausgedacht: Ein Ausserirdischer - modern für Engel - erscheint im Büro des Präsidenten eines Werbekonzerns und erklärt diesem, er habe einen Auftrag für ihn. Auf die Frage, worum es sich handle, antwortet der Ausserirdische: "Sie sollen das Happy End einleiten." Der Werbemann runzelt die Stirn: "Das Happy End? Welches Happy End?" Der Ausserirdische lächelt: "Die Schöpfung ist ein Schauspiel, die Erde die Bühne und der Mensch der Akteur. Die Handlung des Stückes bewegt sich auf eine Weggabelung zu. Dort muss der Entscheid für oder gegen das Happy End gefällt werden. Der Unternehmer schaut seinen Gast lange prüfend an und sagt dann: "Was soll das?"

"Sie sollen das organisieren", sagt der Ausserirdische. Als der Werbemann die Stirn runzelt, fragt der Besucher: "Brauchen Sie Geld?"

"Es würde nichts schaden", antwortet der Präsident. Nach ein paar weiteren Sätzen sind sich die beiden handelseinig. Der Werbemann nimmt den Auftrag an, und der Ausserirdische entfernt sich.

Soweit der Einstieg in die Geschichte vom Happy End Express. Jetzt geht es darum, die Geschichte weiterzuspinnen. Was unternimmt der Präsident? Wie geht er seine Aufgabe an? Wie reagieren seine Leute? Was ist das Happy End überhaupt? Kann man es sich auf irgend eine Weise vorstellen?

Liebe Kirchenbesucherinnen und Kirchenbesucher, liebe Alt- und Neugierige, wenn Sie sich zutrauen, dieses aufregende Spiel mitzuspielen, und Lust dazu haben, dann bitte ich Sie, sich in die neben dem Ausgang aufgelegten Listen einzutragen. Sie werden dann in Kürze von uns kontaktiert und zu einer ersten Versammlung eingeladen. Es geht bei diesem Projekt darum, den Pioniergeist in uns zu kitzeln, den Prozess, der aus einer Idee Realität macht, am eigenen Leib zu erfahren. Wozu sind wir fähig, wenn wir uns alles zutrauen und wieder zu Kindern werden? Können wir etwas verändern? Können wir auf der Basis eines simplen Begriffes soviel kreative Energie erzeugen, dass die Geschichte vom Happy End Express zu einem wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Faktor wird? Haben wir noch Pioniere in unseren Reihen, Pioniere, die sich von Visionen, nicht von Machbarkeitsstudien leiten lassen? Visionen sind die stärksten Stimulantien des Menschen. Sie lösen den Glauben aus. Und darum geht es. Deshalb sind wir in der Kirche. Wer glaubt noch an den Glauben? Das ist hier die Frage. Nicht Sein oder nicht Sein, sondern Glaube oder nicht Glaube. Wer an den Glauben glaubt, dem gehört die Welt. Wenn ich "Glaube" sage, meine ich das, was Johannes vom Kreuz so unvergleichlich ausdrückt, wenn er sagt, dass das Nichtbegreifen dessen, was man begreift, alle Wissenschaft übersteigt. Hier schwingt nach meinem Empfinden eine gehörige Portion Ironie gegenüber der Vernunft mit, die sich für wissend und für die Königin des Daseins hält. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Beispiel dafür anführen, wie die Ironie im Mantel des Absurden einen Sieg über die Vernunft erzielt. Es stammt aus dem Buch "Lösungen" von Paul Watzlawick, John H. Weakland und Richard Fisch: "Als die Herzogin von Tirol, Margareta Maultasch, im Jahre 1334 die Kärntner Burg Hochosterwitz, die hoch über dem Talboden einen steilen Felskegel krönte, einschloss, war es ihr klar, dass die Festung nicht im Sturm, sondern nur durch Aushungerung bezwungen werden könne. Im Laufe der Wochen wurde die Lage der Verteidiger dann auch kritisch, denn die Vorräte waren bis auf einen Ochsen und zwei Säcke Gerste aufgebraucht. Doch auch Margaretas Lage war inzwischen schwierig geworden: die Moral ihrer Truppen verlotterte, das Ende der Belagerung war nicht abzusehen. Zudem hatte sie sich noch andere, vielversprechende militärische Ziele gesetzt. In seiner Zwangslage entschloss sich der Verteidiger der Burg zu einer Kriegslist, die seinen eigenen Leuten selbstmörderisch erscheinen musste; er befahl, den letzten Ochsen zu schlachten, seine Bauchhöhle mit der verbliebenen Gerste vollzustopfen und ihn dann über die steile Felswand auf eine Wiese vor das feindliche Lager hinunterzuwerfen. Wie erhofft, überzeugte diese höhnische Geste Margareta von der "Zwecklosigkeit", die Belagerung fortzusetzen, und sie zog ab."

Was geschehen wäre, wenn der Kommandant eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben hätte, können Sie sich selbst ausmalen.

Und weil ich jetzt ein bisschen ernst, vielleicht zu ernst geworden bin, erzähle ich Ihnen zum Abschluss und zu Ihrer Erholung noch eine Anekdote aus meinem Leben. Anfangs der siebziger Jahre teilte ich mit Angelo, einem guten Freund, eine Dreizimmerwohnung an der Bärenfelserstrasse. Ich verfasste damals fast täglich Gedichte. Eines Tages kam Angelo nach Hause und fragte, ob ich neue Gedichte hätte. "Wieso?" wollte ich wissen. "Ein Gedicht ist doch, wenn es hinten gleich tönt, oder?" sagte er. "Ja, zum Beispiel", antwortete ich, "wieso fragst du?" "Ich habe das auch versucht", entgegnete er. "Tatsächlich?" Ich war gerührt. Angelo war ein unkomplizierter Bursche, Automechaniker, Biertrinker und Frauenfan. Sollte ich ihn tatsächlich dazu inspiriert haben, Gedichte zu schreiben? Das wäre unglaublich. "Kannst du mir mal etwas zeigen?" fragte ich voller Neugier. "Ich kann's auswendig", murmelte er. "Ja? Kannst du mir eines vortragen?" "Okay", sagte er und räusperte sich. Dann hörte ich zum erstenmal in meinem Leben das mittlerweile legendäre, einzige Gedicht von Angelo Dalla Rosa:

Niemerem sage
Schwartemage.

Und weil ich ein grosser Fan des Zitierens bin, hier zum Abschluss noch eine Aussage von Paul Davies, Professor für Theoretische Physik in Newcastle, aus seinem Buch Prinzip Chaos: "Es ist nicht mehr gänzlich abwegig, wenn man sich vorstellt, das Universum sei durch einen Quantenprozess spontan aus dem Nichts entstanden."
Ich danke Ihnen.

Falls geklatscht wird:
Und Paulus sprach zu den Apachen:
Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.
Otto Waalkes