Einführungsrede in den
1. Kongress «Humor in der Therapie»
5. Oktober 1996,
von René Schweizer.


Guten Tag, meine Damen und Herren

Bei der Planung dieses Kongresses waren die beteiligten Organisatoren sich darüber einig, dass ich als Initiant ein paar einführende Worte an die Anwesenden richten sollte. So zehn bis fünfzehn Minuten Zeit sollte das in Anspruch nehmen. Wenn ich frei spreche, habe ich die Tendenz, mich von den Gedanken wegtragen zu lassen, und ich beginne zu improvisieren. Da ich aber hier und jetzt einige Dinge unbedingt zur Sprache bringen und keines davon vergessen will, habe ich mich dazu entschlossen, meine kurze Einführung zu Papier zu bringen und abzulesen. Ich bitte Sie dafür um Verständnis.

Thomas Alva Edison hatte einen Traum. Er wollte eine elektrische Lampe konstruieren. Als der erste Versuch fehlgeschlagen war, versuchte er es ein zweitesmal. Auch dieser zweite Versuch schlug fehl. Aber Edison gab nicht auf und versuchte es ein drittesmal. Dann ein viertesmal, ein fünftesmal, ein sechstesmal. Nach hundert Versuchen hatte er noch immer keinen Erfolg, nach zweihundert auch nicht, und auch der dreihundertste Versuch war ein Fehlschlag. Desgleichen der fünfhunderteste, der tausendste, der fünftausendste und der zehntausendste. Erst nach über zehntausend Versuchen erfüllte sich sein Traum. Die elektrische Glühlampe war zur Realität geworden.

Man muss sich das einmal aus der Sicht derer vorstellen, die dabei waren und Edison vielleicht bei der Arbeit beobachtet haben. Da steht ein Mann in seiner Werkstatt, der sich nach zehntausend Versuchen - das sind hundert mal hundert Neuanfänge und unterschiedliche Ansätze - noch immer nicht von seiner fixen Idee abbringen lässt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten Kenntnis von einem solchen Menschen in Ihrem unmittelbaren Lebensbereich. Wie würden Sie ihn einstufen? Würden Sie ihn einen komischen Kauz nennen? Oder einen schrulligen Kerl, einen sturen Bock? Oder würden Sie ihn vielleicht ganz einfach in die Kategorie der Verrückten einordnen?

Meine Damen und Herren, es sind fast immer die "Verrückten" (in Anführungs- und Schlussstrichen), welche die Welt weitergebracht haben. Denken Sie bloss an Kolumbus, der es nur dank seiner unermüdlichen Sturheit und Besessenheit schaffte, Isabella von Kastilien von seiner fixen Idee zu überzeugen, den Osten im Westen zu suchen. Oder Galileo Galilei, dessen Werke erst anno 1835, also ganze einhundertdreiundneunzig Jahre nach seinem Tod, vom vatikanischen Index der verbotenen Bücher gestrichen wurde. Goethe hatte keine Gelegenheit mehr, sie zu lesen; er starb drei Jahre früher. Oder Guglielmo Marconi, der Erfinder der drahtlosen Telegraphie. Seine Freunde liessen ihn in Schutzhaft nehmen und von einem Irrenarzt untersuchen. 1909 erhielt er den Nobelpreis für Physik.

Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte der neuen Ideen, die sich gegen die alten Ideen durchsetzen und die Geschichte der alten Ideen, die den neuen nicht weichen wollen, wobei "neu" nicht unbedingt identisch mit "gut" und "alt" nicht unbedingt identisch mit "schlecht" sein muss.

Im Jahre 1979 erschien bei Rowohlt das Buch "Lachen und Leiden" von Raymond A. Moody, einem amerikanischen Arzt. Er schilderte darin Fälle von kranken Menschen, die über das Lachen Linderung erfahren oder gar ihre Gesundheit zurück erlangt hatten. Das war eine Art Wendepunkt in meinem Leben, denn plötzlich verstand ich ein Erlebnis, das ich zwei Jahre zuvor gehabt hatte. Ich hatte damals mein erstes Buch herausgebracht, eine Sammlung von Briefen und den Antworten darauf, eine Korrespondenz, die ich hauptsächlich mit ƒmtern, Behörden und Institutionen geführt hatte. Einer dieser Briefe war an das Fundbüro Basel gerichtet. Ich informierte dieses über den Umstand, dass ich den Verstand verloren hatte und fragte, ob dieser vielleicht dort gelandet war. Der Leiter dieser Institution sandte mir ein Formular zu. Ich füllte es aus und schickte es zurück. Umgehend erhielt ich eine Empfangsbestätigung und die Versicherung, dass man mich sofort benachrichtigen werde, falls der "erwähnte Gegenstand" - so war es formuliert - doch noch dort eintreffen sollte. Unter uns: Er ist nicht wieder aufgetaucht. Und ich bin sehr froh darüber. Kurz nach Erscheinen dieses ersten Buches sprach mich an irgend einem Anlass ein mir unbekannter Mann an und gestand mir mit todernster Miene: "Sie haben mir das Leben gerettet." Ich war irritiert und überlegte, ob ich ihn vielleicht irgendwo aus dem Wasser gezogen oder gegen eine Bande von Nachtbuben verteidigt hatte. Aber ich konnte mich an keine solche Tat erinnern. Der Mann fuhr fort. Er sagte: "Ich lag krank im Spital, und jemand brachte mir Ihr Buch. Beim Lesen musste ich derart lachen, dass meine Krankheit verschwand. Ich habe mich durch Ihr Buch gesund gelacht." Erst durch die Lektüre von Moodys Buch begriff ich zwei Jahre später, was der Mann gemeint hatte.

Angefangen hat alles damit, dass ich in die Welt eines Ehepaares hineingeboren wurde, das von morgens bis abends lachte und scherzte, sich neckte und Schabernack produzierte. Meine Mutter war in Locarno geboren und sang während der Hausarbeiten Tessiner Volkslieder. Mein Vater war ein stadtbekannter Decorateur, zu dessen Umfeld auch der damalige Globus-Decorateurlehrling und spätere Eisenplastiker Jean Tinguely gehörte. Ich wuchs heran in einer Atmosphäre des ständigen Rumorens und Brodelns. Und erst als ich 1950 im Alter von sieben Jahren in die Primarschule eintrat, lernte ich den Ernst des Lebens kennen. Zuerst glaubte ich, es handle sich dabei um eine neue Art von Spiel. Aber ich wurde schon recht bald eines Andren belehrt, denn damals gab es noch das Mittel der sogenannten Tatzen zur Disziplinierung von Schülern mit Flausen. Das waren Schläge mit dem Meerrohr auf die geöffnete Handfläche. Mich schaudert noch jetzt, wenn ich daran zurückdenke.

Als ich merkte, dass das die neuen Regeln waren, erschrak ich zutiefst. Am meisten irritierte mich, dass alle um mich herum diesen für mich völlig neuen Zustand ohne jedes Zeichen von Missmut oder Widerstand akzeptierten.

Während der ersten dreissig Jahre meines Lebens wurde ich immer wieder von einer tiefen und schmerzenden Wut darüber befallen, dass ich in eine Welt hineingeraten war, in welcher das Komische kaum wahrgenommen wurde. Etwas vom Wesentlichsten an der Erkenntnis von komischen Situationen ist ja die Möglichkeit des Teilens. Alleine lacht es sich längst nicht so herrlich wie in Gesellschaft.

Vor fünf Jahren bot mir ein befreundeter Unternehmer an, für ihn einen originellen Messestand zu konzipieren. Er wollte seine Firma für Consulting und Engineering an der Infrastructa, einer Fachmesse, vorstellen. Ich schlug ihm vor, das Projekt eines Zentrums für Humor zu präsentieren, das heisst die planerischen Stufen seiner Realisierung darzulegen. Er war einverstanden, und ich nahm Kontakt zu Herrn Dr. Michael Titze auf, den ich als Autor des Buches "Heilkraft des Humors" kannte. Gemeinsam begannen wir Ideen zu entwickeln, und im Januar 1992 wurde das HUMORATORIUM (Bild) den Medien präsentiert. Es gab ein grosses Echo, der Stand wurde zu einem Erfolg, und alle waren zufrieden.

Die Zusammenarbeit mit dem Unternehmer war mit dem Abschluss der Messe beendet, und nun stand ich mit einem Projekt allein da, das professionelle Betreuung erfordert hätte. Eine Zeitlang bemühte ich mich intensiv um Kontakte zu potentiellen Mitstreitern. Ich stiess zwar praktisch überall auf Wohlwollen, jedoch nicht auf Enthusiasmus. Und den braucht eine solche Vision dringend. Irgend etwas stimmte also nicht, das war mir klar, denn vom Projekt eines Zentrums für Humor war ich felsenfest überzeugt. Aber was war es, das nicht stimmte? Zuerst hatte ich keine Ahnung. Doch plötzlich begriff ich, dass die Leute generell einfach zu wenig über die Resultate der Humorforschung, der sogenannten Gelotologie, wussten. Man hielt meine Pläne für einen Gag, ein Hirngespinst, eine absurde und abstruse Sache. Nachdem ich mein irrationales Beleidigtsein überwunden hatte, wurde ich aktiv. Ich nahm Kontakt zur Messe Basel auf und präsentierte meine Idee eines Kongresses über die Wissenschaft des Lachens. Die Messe zeigte glücklicherweise sofort Interesse. Dr. Titze stellte das Programm zusammen, ich kümmerte mich um die Kontaktaufnahme zu den Referenten und ersten potentiellen Patronatsmitgliedern und beschaffte die Adressenlisten von möglichen Kongressbesuchern. Die Messe Basel organisierte alles andere. Und jetzt, etwas mehr als vier Jahre nach meiner Teilnahme an der Infrastructa, findet dieser Kongress statt. Damit ist ein erstes Etappenziel auf dem Weg zur Errichtung eines HUMORATORIUMS erreicht.

Bevor ich schliesse und die Bühne für Herrn Prof. Watzlawick freimache, will ich noch kurz mein Fazit ziehen: Entscheidend Neues setzt sich nur durch, wenn die Beharrlichkeit zur Besessenheit wird. Calvin Coolidge, der dreissigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat einmal gesagt: "Nichts in der Welt kann den Platz der Beharrlichkeit einnehmen. Talent nicht; nichts ist gewöhnlicher als erfolglose Männer mit Talent. Genie nicht; unbelohntes Genie ist beinahe ein Sprichwort. Bildung nicht; die Welt ist voll von gebildeten Wracks. Beharrlichkeit und Entschlossenheit allein sind allmächtig."

Ernst und Humor sind untrennbar miteinander verbunden wie die Paare "Mann und Frau", "Oben und Unten", "Links und Rechts". Ohne das eine geht mit dem andern nichts. So wie es einen Mann und eine Frau braucht, um neues Leben zu zeugen, so braucht es den Ernst und den Humor um ein lebendiges Leben führen zu können. Wenn eines fehlt, besteht Unausgeglichenheit. Nur wer beides akzeptiert und ins Leben integriert, kann innere Harmonie erfahren.

Für mich ist dieser heutige Kongress der Auftakt zu einer Entwicklung, die während der kommenden Jahre dazu führen soll, dass dafür zuständige Leute sich überlegen, ob der Humor nicht schon in der Schule gelehrt und praktiziert werden sollte. Es würde auch bestimmt nicht schaden, wenn Menschen schon im Kindesalter darüber aufgeklärt würden, dass Dinge, die heute selbstverständlich sind, vor noch nicht langer Zeit als Verrücktheiten angesehen wurden; beispielsweise das Fliegen. Hätten wir nicht immer wieder Persönlichkeiten wie die oben erwähnten Edison und Konsorten, würden wir vielleicht noch immer in den Höhlen hocken und den Mond anheulen. Über die Wissenschaft des Lachens werden wir meiner Meinung nach Zugang zu einem tieferen Verständnis für den anderen finden.

Mit diesen Worten möchte ich schliessen und mich noch herzlich für den Einsatz bedanken, den so viele Leute geleistet haben, um diesen ersten Kongress möglich zu machen. Leider hat Prof. William F. Fry, der Begründer der Gelotologie und seit 1964 Direktor des International Gelotology Institute an der Stanford Universität, diesmal nicht kommen können. Er hat uns aber vor ein paar Tagen den Text des Referates zugefaxt, welches er heute hier gehalten hätte. Wir haben es in der Nullnummer des Humor Magazins abgedruckt, welches Ihnen am Schluss des Kongresses am Ausgang in die Hand gedrückt werden wird.

Herzlichen Dank.

Und weil das Zitieren von Weisheiten so etwas Schönes ist, hier noch eines von Samuel Butler, dem grossen englischen Satiriker: "Alle Lebewesen ausser den Menschen wissen, dass der Hauptzweck des Lebens darin besteht, es zu geniessen." Viel Spass.

René Schweizer, 1996