René Schweizer...

baslerstab-Kolumne 9
02.02.2001

Zu kurz für einen Kriminalroman

Haben Sie schon mal einen kurzen Kriminalroman gelesen? Einen sehr kurzen, meine ich, etwa so lang wie diese Kolumne? Soll ichs mal versuchen? Gut. Also, zuerst die Leiche. Ein Mann, eine Frau, ein Kind? Ein Europäer, ein Asiate, ein Indianer? Ich schüttle das Angebot durcheinander und fische blind etwas heraus: Einen mittelgrossen Buchhalter aus dem Oristal; trägt graue Krawatten und liebt Studentenfutter.
Kombiniere: Vielleicht war das Studentenfutter vergiftet. Aber wer will schon einen Buchhalter aus dem Oristal umbringen, der graue Krawatten trägt und Studentenfutter isst? Ich muss mich beeilen, denn ich habe insgesamt nur zirka 1740 Anschläge zur Verfügung. Vielleicht hat er Geld unterschlagen, der Buchhalter, und jemand weiss, wo er es versteckt hat. Ein Metzger wäre gut für die Rolle des Mörders, weil der es immer mit vielen scharfen Messern zu tun hat. Aber den Mörder lernt man ja erst zum Schluss kennen. Zuerst muss der Fall entwickelt werden. Mit falschen Fährten und so. Vielleicht sieht der Buchhalter nur so aus wie ein Buchhalter. Vielleicht hat er sich verkleidet und ist in Tat und Wahrheit ein Wrestler aus Kleinhüningen, umgebracht von einem Rivalen. Aber dann ist der Mörder schon wieder zu früh da.
Der Fundort der Leiche ist wichtig. Und die Umstände des Fundes. Gibt es Spuren? Vielleicht eine angerauchte Zigarette, eine selbst gedrehte, mit Lippenstift. Und das halb abgebrannte Foto eines Dromedars oder Lamas. Das könnte Verwirrung stiften. Verdammt, der Platz für diese Kolumne ist schon fast aufgebraucht. Was mach ich jetzt? Wissen Sie was, schreiben Sie doch selber einen Krimi, wenn Sie unbedingt einen haben müssen. Oder treten Sie einem Buchclub bei.
René Schweizer, Lachforscher und Schauspieler.

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