Interview mit Robin Williams:
«Die Komiker stehen am Ende der Nahrungskette»
Robin Williams über seine Rolle als Krankenclown in «Patch Adams», seine Faszination fürs Internet und sein Image zwischen Dildomaniac und gutmütigem Eunuch.
Meist spielt Robin Williams Väter, Lehrer oder Ärzte - wie in seinem neusten Film, «Patch Adams». Doch im Interview mit CASH offenbarte er eine andere Seite, die des Dildomaniacs.
Marc Bodmer, New York
CASH: Arztrollen scheinen es Ihnen angetan zu haben. Auch in Ihrem neusten Film, «Patch Adams», tragen Sie wieder einen weissen Kittel. Haben Sie selber Angst, zum Doktor zu gehen?
Robin Williams: O ja, besonders wenn ich zum Proktologen (Darmspezialist, Anm. der Red.) gehe und er mir beide Hände auf den Rücken legt.
CASH: Wären Sie entspannter, wenn der Arzt mit einer roten Clownnase erscheinen würde?
Williams: Vielleicht, wenn es nicht gerade im Operationssaal ist. Auch schnüffelnde Anästhesisten (gibt schnarchende Geräusche von sich) sind nicht sonderlich beruhigend. Aber Studien über Humor und schlichten Körperkontakt haben gezeigt, dass entsprechende Massnahmen die Wirkung von Medikamenten verbessern.
CASH: Wird Humor, generell die Kunst, Leute zum Lachen zu bringen, zu wenig geschätzt? Sie gewannen Ihren Oscar für eine ernste Rolle in «Good Will Hunting» und nicht für einen Comedy-Part.
Williams: Viele Leute meinen, dass Comedy einfach sei, aber die grossen Komiker wie Buster Keaton und Chaplin waren echte Künstler. Man betrachtet die Narren einfach mit anderen Augen. Die Komiker findet man am Ende der Nahrungskette.
CASH: Aber es ist doch weit schwieriger, die Leute zum Lachen zu bringen, als sie beispielsweise zu erschrecken.
Williams: Es ist sehr schwierig und subjektiv. Wenn es funktioniert, dann weiss man es dafür augenblicklich. Aber es ist hart. Chaplin erhielt seinen ersten Oscar erst mit 83 Jahren.
CASH: Chaplin kombinierte Komik und Tragik. Das Gleiche pflegt auch Ihr filmisches Alter Ego, der Arzt Patch Adams, zu tun.
Williams: Chaplin folgte der englischen Musical-Tradition «Bring sie zum Lachen, bring sie zum Weinen». Adams wählt die Linie zwischen Komik und Tragik.
CASH: Zuerst glaubte ich, «Patch Adams» sei eine Komödie, aber nachdem ich den Film gesehen habe, würde ich ihn in ein ernsteres Genre einordnen.
Williams: Ich habe den Film noch nicht gesehen und komme mir vor wie Ray Charles im Louvre. Gewisse Szenen kenne ich: die mit den krebskranken Kindern, den Verlust der Partnerin
das sind alles Dinge, die Patch Adams widerfahren sind. Im wirklichen Leben war es ein Freund von Adams, der von einem psychisch Kranken umgebracht wurde. Anders war auch, dass sich der Täter anschliessend nicht selber erschoss, sondern vor Gericht ging, Unzurechnungsfähigkeit geltend machte und nach drei Jahren in der Anstalt wieder draussen war - so viel zum amerikanischen Justizsystem. Stimmt doch, O.J. Simpson?
CASH: Identifizieren Sie sich mit Ihrer Figur Patch Adams?
Williams: Ja, wir haben zwei Dinge gemein: Die Komikermasche und den Willen, die Dinge zu verbessern. Körperlich sind wir komplett verschieden. Er ist etwa 185 gross und schaut aus wie ein hagerer Sohn von Salvador Dalí.
CASH: Ich habe Mühe mit der Vorstellung, dass Patch Adams ein so artikulierter Mensch ist wie Sie.
Williams: Er ist sehr artikuliert und belesen. Er ist kein «Hohoho»-Clown, sondern einer, der mit lauter Anspielungen und Parodien arbeitet. Da ähneln wir uns schon sehr.
CASH: Ist er mit dem Film zufrieden?
Williams: Er sagte, dass er sich auf der Leinwand wieder erkannte, zum Glück. Wenn man jemanden spielt, hofft man seine Essenz zu erhaschen.
CASH: Sie spielten schon den Psychiater Dr. Oliver Sacks («Awakenings»). Gleichen sich Ihre Erfahrungen?
Williams: Sie waren ziemlich ähnlich. Oliver war jeden Tag auf dem Set und überwachte meine Darbietung. Es war ein ziemlicher Stress für beide. Wenn man tagein, tagaus das Spiegelbild von jemandem spielt, so kommt einmal der Punkt, wo man sagt (mit höflicher Gelehrtenstimme): «Verpiss dich!» Nicht gerade nett, ich weiss. Aber wir entschlossen uns für mehr Distanz, was schliesslich für beide eine Erleichterung war. Es ging weniger darum, jemanden zu imitieren. Ich fand schliesslich die Essenz und begann eine Persönlichkeit zu schaffen, die verkörperte, worum es Sacks eigentlich ging.
CASH: Läuft man als Clown nicht Gefahr, über die Patienten statt mit ihnen zu lachen?
Williams: Nein. Adams würde sicher nicht reinkommen und sagen: «Ihr habt nicht gerade viel Sport getrieben.» Nein. Er macht kleine Darbietungen. Es ist wie im Film. 90 Prozent der Kinder, die wir dort sehen, sind «Make a wish»-Kinder, die Chemotherapien hinter sich haben. Die erste Reaktion der Leute war: «Das könnt ihr nicht machen. Sie sind wirklich krank.» Für mich sind sie auf dem Weg zur Besserung. Es ist interessantes, aber trauriges Zeug. Man darf nicht davor zurückschrecken, auch wenn wir in den USA die Tendenz dazu haben.
CASH: Nicht nur dort.
Williams: Es ist eine menschliche Reaktion. Wenn jemand krank ist, hält man sich instinktiv fern. Christopher Reeve (der «Superman»-Darsteller ist seit einem Reitunfall querschnittgelähmt) erzählte mir, dass die Leute, die ihn besuchten, entweder herablassend waren oder im Mitleid versanken. Aber das hilft ihm nicht. Ich habe ihn wie früher behandelt. Das war es, was er brauchte. Wir lachten miteinander, hatten unseren Spass, und ich dachte nicht: «Oh, mein Gott, schau dir diesen armen Kerl an.»
CASH: Sie sind sehr engagiert und gehören auch der Starbright-Stiftung an.
Williams: Kennen Sie sie? Es ist ein Computerverbund von Kindern, die isoliert sind. Er wurde von Steven Spielberg vor Jahren ins Leben gerufen. Mit Hilfe von Highend-Technologie werden verschiedene Spitäler miteinander verbunden. Kinder können sich dann in der «Starbright World», einer fantastischen Umgebung, treffen. Sie kommunizieren miteinander durch eine virtuelle Kreatur - oder über ein ISDN-TV-Gerät mit «Ich seh dich, du siehst mich»-Technologie. Sie können so das Spital verlassen und einander helfen. Ein Arzt könnte das nicht. Das ist einer der positiven Aspekte des Internets.
CASH: Sie selber sind ein Internet-Fan.
Williams: Ich bin vom WWW völlig fasziniert. Es gibt gute und schlechte Seiten. Das Seltsame beim Web ist die Anonymität. Man hat das Gefühl, dass man mit der 25-jährigen bisexuellen Eileen spricht, aber in der Tat ist es Earl aus Iowa. Aber das Angebot und die Zugangsmöglichkeiten sind überwältigend. Es ist das Einzige, was nicht von den Regierungen und der Wirtschaft kontrolliert werden kann. Sie versuchen es zwar, aber das Net ist ihnen immer einen Schritt voraus.
CASH: In letzter Zeit wurden Sie in der Filmfachpresse als «der gutmütige Eunuch» bezeichnet. Wie stehen Sie dazu?
Williams: Lassen Sie mich mal sehen (greift in die Hose). Es ist noch alles da. Diese Einschätzung kommt wohl daher, dass meine Filme nicht vordergründig sexuell sind. Auf der Bühne sieht das ganz anders aus, dort kommt meine sexuelle Urgewalt zum Ausbruch. Es wurde mir vorgeworfen, dass ich nur vom Sex fasziniert sei, ein Dildomaniac wäre.
CASH: Warum haben wir diese Kraft noch nie in einem Film gesehen?
Williams: Mir wurde bis jetzt keine solche Rolle angeboten. Aber kaum betrete ich die Bühne, geht es los (kneift sich in die Brustwarzen und zischt ekstatisch): Yesss, yesss ... Da starte ich echt durch, und das Publikum fragt sich, ob sie mir nicht ein feuchtes Tuch bringen sollen. Es braucht die richtige Figur, um die Energie reinzustecken.
CASH: Sie haben nur einmal einen Bösewicht gespielt
Williams: Ja, in «Secret Agent».
CASH: Gefiel Ihnen die Rolle?
Williams: Ich fand sie grossartig.
CASH: Möchten Sie nicht wieder mal einen bösen Buben spielen?
Williams: Aber sicher. Doch ich werde die Figur wohl selber entwickeln müssen, denn sie wird mir kaum angeboten, weil sie mich für einen gutmütigen Eunuchen halten. (Inszeniert einen Dialog:) «Warum spielt er einen Pigmäen-Vergewaltiger?» - «Halt doch die Klappe.» Vielleicht werde ich einmal einen Serienmörder spielen, einen süssen Serienmörder, der Zuckerstaub auf seine Opfer streut. Wenn «Secret Agent» mehr Geld eingespielt hätte, sähe die Situation sicher anders aus.
CASH: Möchten Sie nicht etwas mit Ihrer Faszination fürs Internet kombinieren?
Williams: Das wäre interessant. Ich gab einem Freund einmal die Idee von einem Computervampir weiter: das Byte mit Biss.
CASH: Sie kommen gleich mit zwei Filmen binnen dreier Monate auf den Markt. Haben Sie keine Angst davor, dass man zu viel von Ihnen zu sehen bekommt?
Williams: Als gutmütiger Eunuch kann ich eigentlich nicht öffentlich Anstoss erregen, wenn ich mich übermässig exponiere. Eigentlich hätten wir noch einen weiteren Film, «Jacob, the Liar», den das Studio rausbringen wollte, aber ich sagte ihnen, dass sie das nicht machen können. Dann wären wir so weit, dass für Filme ohne mich geworben würde: «Jetzt ein Film ohne Robin Williams!» Den Studios ist es Wurst. Sie werfen die Filme, wenns sein muss, auch im Wochenrhythmus auf den Markt. Mit so vielen neuen Filmen ist es wie bei einem Wrestling-Match (in der marktschreierischen TV-Ansager-Stimme): «Jetzt kommt 'Prince of Egypt'! Wer wird überleben: der Clown oder Moses?! Verpassen Sie keinesfalls den unglaublichen Kampf zwischen dem König der Juden und dem bürgerlichen Komiker!»
Vom «Mork of Ork» zum Oscargewinner.
Robin Williams wurde am 21. Juli 1952 in Chicago, Illinois, als Einzelkind von Robert und Laurie Williams geboren. Er brachte seine Kindheit oft allein zu und erfand für sich imaginäre Spielgefährten. Er studierte kurze Zeit Politikwissenschaften, bevor er zusammen mit Christopher Reeve an die New Yorker Juillard-Schauspielschule ging. Mit Stand-up-comedy-Auftritten verdiente er sich sein Geld und sammelte viel Erfahrung. Nach dem Juillard-Abschluss landete er in der Rolle des «Mork vom Ork» in der gleichnamigen TV-Serie. Der Monty-Python-Fan machte Hollywood-Karriere mit Filmen wie «Good Morning, Vietnam» (1987), «Dead Poets Society» (1989) - beide eben auf DVD erschienen - und «Mrs. Doubtfire» (1993). Für seine ernste Rolle in «Good Will Hunting» (1997) erhielt das komische Ausnahmetalent einen Oscar. Auf eine einsame Insel würde er Stanley Kubricks «Dr. Strangelove» mitnehmen, «weil es der witzigste und düsterste Film ist».
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